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Reichspogromnacht am 9. November

Gedenkworte von Bürgermeisterin Andrea Lange

Grußwort der Bürgermeisterin der Stadt Rinteln zum Gedenken an die Pogromnacht des 9. November 1938

Sehr geehrter Herr Dr. Mosig, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

heute, am Samstag, 9. November 2024, erinnern wir an die Ereignisse vor 86 Jahren, das schreckliche Geschehen der Pogromnacht von 1938.

Propagandaminister Josef Goebbels hielt eine hasserfüllte Rede gegen das, wie er sagte: „internationale Judentum“. Dies war das Signal für eine Hetzjagd auf Juden in ganz Deutschland. 1938 brannten noch in derselben Nacht in ganz Deutschland Synagogen, Gebetsräume und weitere jüdische Versammlungsstätten. Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört oder geschändet. Mehrere Hundert jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden in wenigen Tagen damals ermordet oder in den Tod getrieben.

Diskriminierung, Ausgrenzung und Ermordung der Juden waren von Anfang an Ziele des nationalsozialistischen Deutschlands.
Die Grausamkeiten beschränkten sich nicht mehr nur auf Deutschland, sondern recht bald sollte dies den gesamten europäischen Kontinent erfassen.

Allen, die sich heute hier eingefunden haben oder an einem anderen Ort zum Gedenken zusammenfinden, ist bewusst, dass das Gedenken an die Pogromnacht 1938 mehr ist, als ein jährliches Ritual - dass es mehr ist als eine Rückschau.

Wir gehen heute diesen Gang des Gedenkens nicht nur zurück, sondern auch gemeinsam nach vorne.
Der 9. November erinnert uns daran, wozu der Mensch fähig ist.
Der 9. November erinnert uns an unsere deutsche Verantwortung, daran wohin Rassenhass und entfesselter Nationalismus geführt haben.

Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen, aber wir haben die Aufgabe und Verantwortung dafür zu sorgen, dass sich Geschichte nicht unheilvoll wiederholt. Machen wir aus unseren Heranwachsenden starke junge Menschen mit Urteilskraft und Klugheit, aber auch mit Menschlichkeit und Herzenswärme.
Verurteilen wir gemeinsam böse Polemik der Populisten gegenüber unseren Staatsorganen und unseren demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern.

Nie wieder, das heißt, für Menschenrechte und für die Würde jedes einzelnen Menschen einzutreten.

Nie wieder, das heißt, nie wieder zulassen, dass menschenverachtender Rassenhass, Antisemitismus und übersteigender Nationalismus sich in unserem Land oder unserer Stadt breit macht.

Machen wir uns insbesondere heute aber auch an jedem anderen Tag bewusst, dass sind Verpflichtungen. Sie gehören zum Fundament unserer Demokratie.

Wenn wir uns dem Narrativ der Autokraten anschließen und einen Abgesang auf die Kraft der Demokratie, ihre Errungenschaften von Menschenrechten und Meinungsfreiheiten hinnehmen, dann haben die Autokraten gewonnen. Deshalb müssen wir uns gegen Apathie und Verzweiflung wehren. Wir dürfen nicht schweigen, wo Antisemitismus, Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus sich zeigt. 

Wer die Pflichten der Demokratie aufgibt, wird die von ihr gegebenen Rechte verlieren. Es ist unser aller Pflicht, die Demokratie zu verteidigen, weil sie bei allen Auseinandersetzungen, bei allen Debatten und Schwierigkeiten eines gibt, was kein anderes System gibt: die Freiheit.

Es liegt an den Demokratinnen und Demokraten, wie stark die Demokratie am Ende gefestigt werden kann. Ist sie gefestigt, laufen hasserfüllte Propagandareden letztendlich ins Leere.

Kämpfen wir für etwas, das gut ist für uns als Menschen in unserem Zusammenleben, für die Gesellschaft, und das, was die Demokratie, bei allen Rückschlägen, ausgemacht hat, ein klares Bekenntnis zu Freiheit und Menschlichkeit.

Es ist eine Schande, wenn jüdische Menschen heute – wir sind im Jahr 2024 – heute  - Angst haben sichtbar zu sein, offen ihre Religion und Kultur zu leben – als Angehörige unserer Gesellschaft!
Wenn in Deutschland heute Wohnungen von Juden beschmiert werden, jüdische Studierende an ihren Universitäten bedroht werden, dann ist das Judenhass und Antisemitismus. Das dürfen wir niemals stillschweigend dulden!

Unser Bundespräsident Steinmeyer hat erst kürzlich am 7. Oktober in seiner Rede gesagt: „Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur für Jüdinnen und Juden nicht nur in Israel, sondern auf der ganzen Welt. Israel, das war ihr sicherer Hafen. Und jetzt?

Die Journalistin Nele Rahel Pollatschek hat diese Verunsicherung in folgende Worte gefasst: „Wir sitzen zwar immer noch auf gepackten Koffern, aber zum ersten Mal wissen wir nicht, wo die Reise hingehen wird.“

Dass Jüdinnen und Juden fast 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, nach dem Menschenverbrechen der Shoah, das sagen, macht mich tief betroffen.

„Mögen alle Völker und Staaten ihren Beitrag zum Frieden leisten. Mögen sie alle wissen und beherzigen, dass Frieden nicht möglich ist, ohne den allseitigen Willen zum Ausgleich und Kompromiss“, dieser Satz des Bundeskanzlers Schmidt, gesprochen vor 46 Jahren, ist heute aktueller denn je.

Auch ich wünsche mir ein Ende des Sterbens im Nahen Osten.
Freiheit und Sicherheit für die Menschen, dahin muss auch der Weg im Nahen Osten führen. Ein Weg an dem viele Menschen mitarbeiten müssen und auf den wir hoffen.

Unsere Zeit ist geprägt von Kriegen und Krisen. Die Gegenwart erscheint dunkel, die Zukunft scheint nicht heller. Gegen die konkrete Furcht setzte der deutsche Philosoph Ernst Bloch das Hoffen.
„Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt“, sagte Ernst Bloch, der sein Hauptwerk zwischen 1938 und 1947 im Exil in den USA geschrieben hat.

Wir werden nie vergessen, was am 9.November geschehen ist.
Wir vergessen die Menschen nicht, die an diesem Tag ihr Leben verloren haben.

Wir denken an die, die gelitten haben. Ihnen schulden wir es, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Das Versprechen nie wieder – müssen wir jetzt mit unseren Worten und unserem Handeln einlösen.

Rinteln bleibt eine Stadt, in der Hass und Hetze keinen Platz haben. Dafür stehen wir alle, die Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft heute ein.

Ich danke Ihnen allen, dass Sie durch Ihre Teilnahme an dieser Gedenkveranstaltung dafür ein Zeichen setzen.